Die Zeiten sind hart. Auf manchen Amateurplätzen dieses Landes attackieren Spieler und Zuschauer Schiedsrichter tätlich, sodass diese in den Streik treten. Bilder und Berichte, die einfach nur schockieren. Das hat mit dem Fairnessgedanken nicht mehr viel zu tun. Dies beschreibt eher einen Verfall der Sitten, der seinesgleichen sucht. Ganz oben, im Elfenbeinturm DFB, machen sich die Funktionäre ihre eigenen Gesetze. Dazwischen gibt es glücklicherweise noch viele Vereine und Funktionäre, die Anstand und Moral im Fußball hochhalten. Einer dieser Clubs ist der FC Internationale Berlin. Gegründet Anfang der 80er, engagiert sich der Verein stark im sozialen Bereich. Integration und Inklusion sind wichtige Themen. Dafür wurde Inter schon mit diversen Preisen ausgezeichnet. Gerd Thomas, 1. Vorsitzender des FC Internationale, stand uns Rede und Antwort.
Vielleicht ist Fritz Keller für die eine oder andere Überraschung gut
Kabine: Sie hatten vor einer Weile zusammen mit Bernd Fiedler von Stern 1900 einen bemerkenswerten Artikel für den Tagesspiegel geschrieben, in dem Sie das Verhalten des DFB beklagen.
Nun ist Fritz Keller zum Präsidenten gewählt worden. Er ist zwar DFB-Präsident, aber seine Befugnisse sind beschnitten worden. Haben da eine paar leitende Funktionäre noch rechtzeitig ihre Pfründe gesichert?
Gerd Thomas: Zumindest liegt der Verdacht nahe. Die alte Riege macht weiter, als wäre nichts gewesen. Aber die Schuld an den zahlreichen Verfehlungen des DFB in den letzten Jahren nur Grindel, Niersbach und Zwanziger in die Schuhe zu schieben, ist dann doch etwas zu einfach. Ich frage mich aber vor allem, wie Multifunktionäre wie Rainer Koch das alles bewältigt kriegen. Nun, das frage ich mich bei vielen Politikern auch. Diese Leute denken scheinbar gar nicht darüber nach, warum der Verdruss an der Basis so groß ist, sondern halten sich selbst für unverzichtbar und unfehlbar.
Kabine: Wird bzw. kann sich unter Fritz Keller überhaupt etwas ändern? Wenn ja, was halten Sie für möglich?
Gerd Thomas: Vielleicht ist Fritz Keller ja für die eine oder andere Überraschung gut. Wer weiß? Wahrscheinlicher ist aber, dass es so weitergeht wie zuvor. Ob er nun mehr oder weniger zu sagen hat, spielt dabei gar nicht die größte Rolle. Die ganze Haltung muss sich ändern. Rainer Koch erzählt allen, er würde für die Amateure doch das Beste rausholen. Dabei hat er in den letzten Jahren gegen die stets gut organisierte DFL schwere Niederlagen einstecken müssen, vor allem beim TV-Vertrag. Aber selbst das versucht er, uns als Erfolg und Garant für den Zusammenhalt zu verkaufen. Doch wie soll die Amateure einen ERSTEN Vizepräsidenten ernstnehmen, der als ihr Vertreter auf zig Millionen für die Basis verzichtet? Und warum sollte nun ausgerechnet unter Fritz Keller, einem Vertreter aus dem Profilager, beim nächsten TV-Vertrag eine Verbesserung für die Amateure eintreten? Ein handfester Skandal ist zudem die Wahl von Günter Distelrath. Da er am 5. Oktober die Altersgrenze von 70 erreicht hat, wurde der DFB-Bundestag von Oktober auf September verlegt. Nichts gegen ihn persönlich, aber das ist Gutsherrenpolitik. Und alle Landesverbandspräsidenten machen mit. Ebenso abenteuerlich ist die Tatsache, dass nur eine Frau im erweiterten Präsidium ist. Der DFB ist völig aus der Zeit gefallen und entspricht modernen Gepflogenheiten nicht im Geringsten. Aber wir werden nicht aufgeben und weiter die Finger in die Wunden legen.
Ein Geist, der Solidarität, Respekt und Toleranz ermöglicht
Kabine: Ihr Verein der FC Internationale steht für das reine Amateurtum. Sie sind in Sachen Integration und Sozialarbeit schwer aktiv. Das kostet alles Geld und Anstrengung, wird aber von oben nicht honoriert. Wie können Sie Ihr Engagement trotzdem immer wieder aufrecht erhalten?
Gerd Thomas: Das fragen wir uns auch immer wieder. Die paar Euro für die sicher schönen Auszeichnungen reichen jedenfalls nicht. Im Verein gibt es einen Geist, der Solidarität, Respekt und Toleranz auf breiter Front ermöglicht. Aber es wird schwerer, Leute zu finden, die bei der guten Sache mitmachen. Der Arbeitsmarkt fordert seinen Tribut, das dauerhafte ehrenamtliche Engagement ist allgemein rückläufig. Das war übrigens auch beim DFB-Amateurkongress von allen Vereinsdelegierten zu hören. Daher sind wir dabei, Konzepte zu erstellen, die den ganzen Sozialraum mitnehmen, nicht zuletzt die vielen Unternehmen, die am Südkreuz ihren Sitz haben. So reden wir mit Firmen über die Vermittlung von jungen Fachkräften und Auszubildenden, führen künftig Engagementsprojekte durch. Leider erkennen die zuständigen politischen Verantwortlichen nicht, welches Potential der Sport für einen funktionierenden Bezirk hat. Das geht weit über Training und Wettkampf hinaus. Mein Traum ist, dass ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen irgendwann ein sportliches und integratives Begegnungszentrum für alle Menschen in unserer Umgebung schaffen kann. Hierfür suche ich dringend weitere Mitstreiter. Das Konzept nimmt gerade Formen an.
Ignoranz ist schlimmer als Gegenwind
Kabine: Integration und Migration sind gerade brennende Themen. Schlägt Ihnen ob Ihres Engagements mitunter auch Gegenwind ins Gesicht? Wenn ja, in welcher Form?
Gerd Thomas: Gegenwind spüren wir nicht, eher Ignoranz, was fast schlimmer ist. Der Berliner Fußballverband fragt nie an, was wir zusammen machen könnten. Die Politik ist froh, wenn sie uns nicht sehen muss, denn wir sind scheinbar mit unseren vielen Ideen und Vorschlägen viel zu anstrengend. Also suchen wir uns andere Partner. Von anderen Vereinen erhalten wir durchaus Zuspruch. Und was hinter unserem Rücken erzählt wird, das interessiert mich nicht. Wer eine andere Haltung hat, soll uns das offen sagen oder einfach schweigen. Ich finde es übrigens nicht schlimm, wenn nicht alle unseren Weg teilen. Die Demokratie lebt doch von der konstruktiven Auseinandersetzung und dem Ringen um die richtigen Positionen.
No Racism statt Brustsponsor
Kabine: Der FC Internationale hat keinen Brustsponsor und trägt stattdessen das Thema »No Racism« auf der Brust. Damit dürfte Ihnen einiges an Sponsorengeld verloren gehen. Wie gleichen Sie das aus, denn Geld für den Vereinsbetrieb benötigen Sie ja trotzdem?
Gerd Thomas: Unsere Vereinsbeiträge sind sicher nicht die niedrigsten in Berlin, allerdings auch nicht die höchsten. Letztlich ist es ganz einfach: Wenn man das Geld nicht für die Bezahlung von Legionären ausgibt, kann man es an anderer Stelle einsetzen. Jeder Verein muss sein Modell finden. Ich hätte gar kein Problem mit einheitlichen Siegprämien, aber die können nicht aus Mitgliedsbeiträgen genommen werden. Leider geben viele Vereine mehr aus, als sie sich leisten können. Als ehrbarer Hamburger Kaufmann ist das für mich kein adäquates Modell. Natürlich würden wir uns freuen, wenn Sponsoren kämen und uns im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung unterstützten. Nötig ist es ja leider, wenn man sich die Wahlergebnisse ansieht. Ich bin sicher, wir werden Partner finden, die auch erkennen, dass sich ein Engagement für einen demokratisch und respektvollen Sozialraum lohnt. Schließlich wollen wir uns doch alle vor unserer Haustür oder auf dem Weg zu unserem Arbeitsplatz wohlfühlen. Also müssen wir gemeinsam etwas dafür tun, denn von alleine wird nichts besser. Die Brust wollen wir aber nicht freiräumen, denn schon die Kinder tragen das NO RACISM mit großem Stolz und voller Überzeugung auf dem Trikot.
Wir suchen aktiv nach Partnern
Kabine: Fußball verbindet. Der FC Internationale ist ein wichtiger sozialer Ankerpunkt in dieser Stadt. Welche Sponsoren kommen auf Sie zu, um Ihr Engagement zu unterstützen?
Gerd Thomas: Wir müssen auf sie zugehen, und das werden wir tun. Hin und wieder spendet jemand 1.000,– oder auch mal 3.000,– Euro, oft auch zweckgebunden, z. B. für Ausstattung oder Material. Aber wir haben bisher tatsächlich keine echten Sponsoren, uns aber auch nie richtig darum gekümmert. Das soll sich jetzt ändern. Wir suchen gerade aktiv nach Partnern. Ich quatsche gerade Gott und die Welt an, aber nie zur Unterstützung bei den eh nicht vorhandenen Spielergehältern, sondern immer für Kooperationen bei sozialen, integrativen oder solidarischen Projekten. Wenn bspw. Unternehmen oder Privatpersonen Kindern oder Jugendlichen aus armen Familien ermöglichen, mit auf Auslandsreise oder ins Trainingslager zu gehen, ist das gut angelegtes Geld für eine bessere Zukunft unserer Stadt. Mich ärgert, dass Kinder aus wirtschaftlich schwachen Familien in den Ferien vor der Konsole sitzen, während andere dreimal im Jahr auf Fernreise gehen. Nichts gegen deren Urlaub, aber wir müssen uns solidarischer zeigen. Angeblich sind beim Fußball ja alle gleich, wobei das natürlich nur ein naiver Werbespruch ist. Ich hoffe, wir finden viele Verbündete, denn in der immer enger werdenden Stadt müssen wir um Solidarität und Chancengleichheit jeden Tag kämpfen. Auch beim Fußball.
Preise sind eine Anerkennung unserer Arbeit
Kabine: Sie haben schon etliche Preise für Ihr soziales Engagement erhalten (DFB-Inklusionspreis, etc.). Haben diese Auszeichnungen für die tägliche Arbeit etwas bewirkt, sodass Sie daraus etwas aufbauen konnten, oder war das immer nur ein Schulterklopfen am Abend der Preisverleihung und hinterher hat sich keiner mehr sehen lassen?
Gerd Thomas: Die Auszeichnungen sind auf jeden Fall eine Anerkennung für die Arbeit. Das macht schon froh. Mit Preisen ist das nun mal so eine Sache. Man muss schon selbst versuchen, etwas daraus zu machen. Leider lässt es die Zeit oft nicht zu, aus den Errungenschaften mehr zu machen. Die Bewältigung des Alltagsbetriebs wird für Vereine immer schwieriger. Im Prinzip müsste heute jeder mehrjährige Jugendleiter, jede kontinuierliche Trainerin erst einmal einen Preis bekommen. Gemeckert wird immer gern, E-Mails und soziale Medien machen das mit einem Klick möglich. Aber sich wirklich mal zu fragen, welche Arbeit hinter der Tätigkeit einer Trainerin oder eines Trainers steckt, was eine Jugendleitung alles organisieren, erdulden und verantworten muss, das macht doch kaum jemand. Wenn ich in Rente gehe, schreibe ich ein Buch über das Ehrenamt. Aber nicht so eine Lobhudelei, sondern ein Buch aus Sicht des Ehrenamts. Das Konzept habe ich schon fertig, es wird ziemlich kontrovers zugehen.
Größter Fehler, in Spielerbeine statt in Struktur zu investieren
Kabine: Sie kooperieren u.a. mit Union und dem SV Babelsberg. Sie haben es in den letzten zehn Jahren geschafft, eine sehr gute Jugendabteilung aufzubauen, die im Berliner Vergleich in den oberen Ligen mitspielt. Dies ist nicht einfach, da auch schon im Jugendbereich teilweise Gelder fließen. Wie haben Sie das geschafft, dieses System so aufzubauen?
Gerd Thomas: Das Wichtigste ist, kontinuierlich und gut organisiert zu arbeiten, gute Mitstreiter zu finden und auch mal mit Rückschlägen umgehen zu können. Unser Ehrenvorsitzender Wolfgang Abitz sagte neulich, dass Niederlagen und Abstiege zum Sport doch dazu gehören. Das vergessen wir alle miteinander manchmal. Gleichwohl sind Abstiege in Berlin für die meisten Eltern ein Grund, ihr Kind gleich beim nächsten Verein anzumelden. Ein wirklich problematischer Trend, denn sehr viele glauben wirklich, ihr Kind wird Profi. Einige halten das sogar für ein angemessenes Geschäftsmodell für die Zukunft der ganzen Familie.
Wir setzen auf gute und seriöse Trainer, sorgen für eine angenehme Vereinsatmosphäre und müssen nicht jeden Trend mitmachen. Viele Vereinsvorstände glauben, nur weil sie Geld haben, können sie nach oben kommen und dort auch bleiben. Nun, einige namhafte Clubs sind schon nicht mehr da. Andere haben wegen des vielen Geldes Streit. Ich würde bei uns nicht von System sprechen, aber wir stellen die Dinge immer wieder auf den Prüfstand. Meistens treffen wir dann die richtigen Entscheidungen, möglichst im Konsens, um alle mitzunehmen. Aber natürlich geht auch bei uns mal was schief. Und hin und wieder gibt es auch bei Inter Streit. Das bleibt bei 1200 Mitgliedern nicht aus. Wichtig ist, dass es nicht persönlich wird, was in Vereinen ja nicht so einfach ist. Außerdem muss es allen möglich sein, sich zu äußern und ggf. auch zu beschweren. Dann können wir gemeinsam versuchen, die Dinge zu verbessern, natürlich im Rahmen der Möglichkeiten. Der größte Fehler von Vereinen ist, Geld vor allem in Spielerbeine zu investieren und nicht in die Struktur. Denn was nützen die besten Kicker, wenn niemand den Spielbetrieb oder den Trikoteinkauf organisiert?
Alles kann, nichts muss
Kabine: Sehen Sie die Chance, dass in diesem Bereich in Zukunft noch mehr gehen wird?
Gerd Thomas: Alles kann, nichts muss. Wir standen zweimal kurz vor dem Aufstieg in die Jugend-Regionalliga. Das wäre ein Kraftakt geworden, aber wir hätten es gemacht. Ich sehe im Verein unheimlich viel Potential, der Name ist ja Programm. Aber ernsthaft, wir brauchen weitere Mitstreiter: im Ehrenamt, als Sponsoren, und im Prinzip auch hauptamtlich. Und wir müssen unseren eigenen unverwechselbaren Weg gehen. Im Marketing spricht man von Alleinstellungsmerkmalen. Ich glaube, hier sind wir auf einem ganz guten Weg. Natürlich müssen den nicht alle mitgehen, aber wir hoffen, unsere Herangehensweise findet immer genügend Anhänger. Die INTER-DNA hat sich schon immer ein wenig von anderen Vereinen unterschieden. Darin steckt auch ein Widerstandsgeist und der Drang, Dinge gegen den Mainstream zu machen. Das hält lebendig und eröffnet viele Möglichkeiten.
Wollen für den Sozialraum Schöneberg etwas Nachhaltiges aufbauen
Kabine: Der Verein ist jetzt knapp 40 Jahre alt und hat sich im Berliner Fußball fest etabliert. Wo wollen Sie in der näheren Zukunft mit dem FC Internationale hin?
Welche konkreten Ziele schweben Ihnen vor?
Gerd Thomas: Wir wollen weiterhin im Berliner Fußballverband spielen, haben aber gleichzeitig den Wunsch, diesen zu verändern und modernisieren. Deshalb mische ich mich auch öffentlich ein. Das hat nichts mit Eitelkeit zu tun, das ist schon inhaltlich ernst gemeint. Deshalb stellen wir beim kommenden Verbandstag auch eine Reihe von weitreichenden Anträgen. Wir wollen aber auch über den Fußball hinaus Zeichen setzen. Zwar gibt es keinen 5- oder 10-Jahres-Plan, aber wir arbeiten konkret an der Umsetzung von Ideen, die in unserer AG Fortschritt entstanden sind. Wir kooperieren mit einem sozialen Träger (RheinFlanke), wir äußern uns zu politischen Themen und wir wollen für den Sozialraum Schöneberg etwas Nachhaltiges aufbauen. Dazu würden wir gern eine sportbetonte Kita bauen, mit weiteren Partnern wie Schulen oder auch Senioreneinrichtungen kooperieren. Wir würden gern unser Engagement für Geflüchete ausbauen, mit den Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung tun wir das gerade. Wir können uns sogar weitere Sportarten beim FC Internationale vorstellen.
Aufgeben ist nicht Sache des FC Internationale
Aber wir brauchen dafür die Unterstützung aus dem Bezirk, vor allem den Willen der Politik, mit uns gemeinsam für den Stadtteil etwas Positives und Nachhaltiges zu schaffen. Dieser Wille ist leider oftmals nicht erkennbar, das bringt uns manchmal schon zur Verzweiflung. Aber Aufgeben ist nicht die Sache des FC Internationale. Sportlich würden wir irgendwann mit den Männern schon gern wieder in der Berlin-Liga spielen. Dazu müsste es uns gelingen, die Talente langfristig zu halten, was ganz ohne Geld sicher nicht einfach wird. Die Jugendteams sollen natürlich in der Verbandsliga bestehen, aber wir müssen noch mehr Wert auf eine gute Ausbildung legen. Es wird also auch künftig ein Schwerpunkt auf guten Trainern liegen. Vor allem aber möchten wir einen Verein etablieren, der es dauerhaft schafft, dass die Leute mit Freude zu Inter kommen, Zusammenhalt pflegen und miteinander, statt übereinander reden. Die gemeinsame Werte für eine friedliche und respektvolle Welt pflegen. Auf und neben dem Platz, aber auch abseits davon.
Ausbildungen legen zu wenig wert auf Sozialkompetenz
Kabine: Herr Thomas, letzte Frage: In jüngster Zeit wurden Schiedsrichter körperlich attackiert. Ein absolutes No-Go. Wo fährt dieser Zug hin? Ist die Moral ganz am Boden?
Gerd Thomas: Die Angriffe und Bedrohungen sind absolut inakzeptabel. Die Schiedsrichter gehören geschützt und genießen meinen vollsten Respekt. Schließlich haben wir selbst weit über 20 Unparteiische im Verein. Neulich wurde ein 15-Jähriger von einem Trainer bedroht, der dann dafür einen Verweis und eine Geldstrafe von 75,– Euro bekam. Mit Verlaub: Das ist lächerlich und nicht abschreckend. Aber ich rufe nicht in erster Linie nach härteren Strafen.
Mich umtreiben zwei Dinge: Erstens reden jetzt alle übereinander, aber nur wenig miteinander. Der Berliner Fußballverband muss sofort Runde Tische einberufen und Schiedsrichter, Spieler, Trainer und Vereinsfunktionäre zusammenholen. Ein Gespräch wird nicht reichen. Das muss ein Prozess sein, in dem gemeinsam realistische Gegenmaßnahmen entwickelt werden. Zudem muss die Kommunikation zu den Vereinen viel deutlicher werden. Andere Landesverbände wie Bayern machen das vor. Wenn es nicht gelingt, dass alle füreinander Verständnis aufbringen und an einem Strang ziehen, wird sich nichts verbessern. Ein großes Problem ist übrigens, dass in allen Ausbildungen viel zu wenig Wert auf das Erlernen von Sozialkompetenzen gelegt wird. Was nützt mir ein Trainer, der die Hütchen richtig aufstellen kann, aber für Niederlagen immer nur den Schiedsrichter verantwortlich macht? Der ist für den Job doch ungeeignet. Vor vier Jahren habe ich zusammen mit anderen Kollegen aus dem Jugendbeirat versucht, eine AG gegen Gewalt und Diskriminierung im Jugendfußball zu initiieren. Wir sind mit dem Vorstoß leider in der BFV-Gummiwand stecken geblieben. Dabei standen viele Dinge, die nun diskutiert werden, damals schon in unseren Vorschlägen.
BFV-Präsident Bernd Schultz ist gefordert
Das Zweite tut mir fast noch mehr weh: Ich habe den Eindruck, dass kaum jemand mal überlegt, wie es den Schiedsrichtern auf dem Platz eigentlich geht. Obmann Jörg Wehling hat das neulich anschaulich geschildert. »Es geht nicht mehr nur um Angst. Jeden Sonntag rufen mich Schiedsrichter mit zitternder Stimme an!« Da fragt man sich doch, in welcher (Fußball-)Gesellschaft leben wir eigentlich? Wollen wir das mittragen? Ich will es nicht. Und ich würde mir wünschen, dass der BFV-Präsident seine ganze Autorität in die Waagschale wirft, um zu Verbesserungen zu kommen. Das kann ich bisher leider noch nicht erkennen. Aber wir werden ihn immer wieder daran erinnern.
Foto Credits: Die Fotos von Gerd Thomas © Gerd Thomas, vielen Dank für die Bereitstellung der Bilder!
Fotos Union und Babelsberg © edition Alaska