Helmut Schön

Angenehm unaufgeregt. So würde der Chronist den ehemaligen Bundestrainer Helmut Schön beschreiben. Keine lauten Worte. Kein sich zur Schau stellen. Damit hob er sich in seinem Auftreten von so manch schaumschlagendem Trainer dieser Tage wohlwollend ab. Und erfolgreich war er obendrein: Weltmeister, Vizeweltmeister, Europameister, Vizeeuropameister – eine Titelliste, die sich sehen lassen kann. Noch heute gilt das von Helmut Schön betreute Europameisterteam von 1972 wohl als die beste aller deutschen Nationalmannschaften. In der Tat, die Jungs haben damals einen wirklich guten Ball gespielt. Kein Vergleich zu der Mannschaft, die 1974 den Weltmeistertitel holte. Das war einfach eine andere Dimension.

Der Lange mit der Mütze

Doch, wer war eigentlich dieser Helmut Schön? In der Kurzfassung: Gebürtiger Dresdner, Nationalspieler, nach dem 2. Weltkrieg Exodus nach Westdeutschland, Trainer des damals unabhängigen Saarlands, Assistent von Sepp Herberger und schließlich Bundestrainer. Übrigens, wie Gerd Müller, so hat auch Helmut Schön in seiner aktiven Zeit mehr Länderspieltore erzielt (17) als Länderspiele absolviert (16). Markenzeichen waren seine große hagere Gestalt und seine Schiebermütze. Darüber hinaus war Helmut Schön bekennender Theater- und Opern-Liebhaber. Diese Art der Freizeitgestaltung stand damals bei Fußballern nicht unbedingt oben auf der Liste.

Helmut Schöns Leben war sehr interessant. Geboren im ersten Weltkrieg, aufgewachsen in der Weimarer Republik und in der Zeit nach 1933. Im 2. Weltkrieg musste er dann zusehen, wie seine Heimatstadt Dresden bombardiert wurde. So etwas prägt. Danach führte ihn sein Weg von Dresden über West-Berlin und das Saarland nach Wiesbaden, das seine zweite Heimat werden sollte. Autor Bernd-M. Beyer führt den Leser ausführlich und mit großer Hingabe durch Helmut Schöns Leben. Und da gibt es eine Menge zu entdecken. Interessant zu lesen, durch welche Tiefen Helmut Schöns Weg bis ganz nach oben führte. Wir erfahren unter anderem, unter welchen Um-oder besser Zuständen Verbandstrainer früher arbeiten mussten. Da wird so manch einer nicht schlecht staunen.

Intrigantenstadl DFB

Interessant ist die Tatsache, dass Sepp Herberger große Probleme mit seinem Nachfolger Helmut Schön hatte. So gab es Phasen in Schöns Amtszeit (und auch schon davor), da ging es zwischen den beiden ziemlich hoch her. Bernd-M. Beyer beleuchtet diese Streitereien und auch weitere interne Vorgänge im Trainerstab des DFB. Dabei kommen prominente Trainer wie Udo Lattek oder Dettmar Cramer, der Weltreisende, nicht unbedingt gut weg. Der Blick hinter die Kulissen ist spannend, offenbart aber im Prinzip trotzdem nur, dass auch in diesen Kreisen jedes Mittel eingesetzt wird, um irgendwie voran zu kommen.

»Fußballer« trifft »Ohr«

Und wie in keinem richtig spannenden Buch, so dürfen auch hier die Geheimagenten nicht fehlen. Obwohl eigentlich nicht zum Lachen, so ist das Kapitel »Helmut Schön und die Stasi« doch irgendwie amüsant. Im Grunde handelt es von tumben Geheimagenten, die ihren Job nicht richtig beherrschen und dabei auch noch arglose Bürger bespitzeln. Die vielleicht schönste Episode ist die, in der Helmut Schön seinen ehemaligen Dresdner Mitspieler Richard Hofmann trifft. Helmut Schön wird im Geheimdienst-Jargon zu »Fußballer« und »König Richard«, der bei einem Unfall ein Ohr verlor, eben zu »Ohr«. Für die Spätgeborenen: Richard Hofmann war in den 30er Jahren einer der besten Stürmer in diesem Land. Er spielte u.a. beim Dresdner SC und in der Nationalelf. Weil er auf einem Foto Werbung für Zigaretten machte, wurde er sogar gesperrt. Über Inhalte müssen wir in diesem Zusammenhang auch gar nicht reden.
Noch einfallsreicher waren Jahre später ein paar Berliner Geheimdienstler, die ihre vier zu beobachtenden Objekte aus dem Metier »Fußball« schlichtweg »Fußballer 1« Fußballer 2«, usw. benannten. Dass sie dann auch noch die Beschattung vermasselten, das soll hier auch nicht verschwiegen werden.

Jeder Deutsche – ein Bundestrainer

Ein Kapitel, das ebenso nicht fehlen darf: Zuschriften und gute Ratschläge. Auch der arme Helmut Schön musste unter den Millionen Bundestrainern leiden, die ihm immer wieder ihre Sicht der Dinge zukommen liessen. So trudelten reichlich Briefe bei ihm ein. Vertreten war alles: Glückwünsche, Pöbeleien und gute Ratschläge, wer denn in den nächsten Länderspielen unbedingt zum Einsatz kommen sollte. Einen besonders schönen Beitrag lieferte dabei Filmproduzent Horst Wendlandt. Mehr sei hier nicht verraten.

Mit diesem Buch – Marke absolut lesenswert oder gar Pflichtlektüre – ist Bernd-M. Beyer wieder ein Klassiker des Fußball-Genres gelungen. Ähnlich wie in seinem Bensemann-Buch gelingt es dem Autor, den Leser durchweg zu fesseln. Seite für Seite, Kapitel für Kapitel. Diejenigen, die diese Zeit erlebt haben, werden in Beyers Buch noch so vieles entdecken, das sie bis jetzt noch nicht wussten. Und diejenigen, die diese Zeit nicht erlebt haben, werden erfahren, dass es auch einmal einen andern, wunderbaren Fußball gab. Da tickten die Uhren noch anders. Die Ausrichtung war bei weitem nicht so monetär, wie sie es heute ist. Und trotzdem gab es tollen Fußball und coole Typen.

Helmut Schön, Bernd-M. Beyer, Verlag Die WerkstattBernd-M. Beyer
Helmut Schön
Eine Biografie
544 Seiten 13,9 x 21,2 cm Hardcover Schutzumschlag, Fototeil
ISBN: 978-3-7307-0316-8

2. durchgesehene Auflage 2018

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eBook

Bernd-M. Beyer

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Eine Biografie
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