Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet

Erfolgreicher Fußballspieler – mehrfacher Deutscher Meister – mehrfacher Nationalspieler – seine Leistungsdaten werden zeitweilig aus den offiziellen Fußball-Statistiken getilgt – er wird von seinem Club ausgeschlossen – er darf sein Stadion, in dem er große Erfolge gefeiert hat, nicht mehr betreten –  privater Niedergang – Abtransport ins KZ – tot – sein Leben, lange Zeit unter den Tisch gekehrt!
Das ist die Biografie des deutschen Nationalspielers Julius Hirsch in Kurzform. Erschreckend und bedrückend zugleich. Der Journalist und Autor Werner Skrentny hat sich die Mühe gemacht und hinter die Kulissen von Julius Hirschs Leben geblickt. Herausgekommen ist ein Buch, das schockiert: »Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet«. Grund genug für uns, mit Werner Skrentny über dieses Buch zu reden.

Erst 2005 eine Gedenktafel für Julius Hirsch

Julius Hirsch, Karlsruher FV

Julius Hirsch

Kabine: Hallo Herr Skrentny, schön, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben. Wie ist denn die Hirsch-Biografie entstanden? Was war der Auslöser für dieses Buch?

WS: Das war Anfang der 90er Jahre. Ich habe mich zu diesem Zeitpunkt mit der Oberliga Süd beschäftigt (»Als Morlock noch den Mondschein traf – Die Geschichte der Oberliga Süd 1945 – 1963«). Hirschs Verein, der Karlsruher FV, war ja zwei Jahre lang in der Oberliga Süd vertreten. Bei Hirschs Todesdatum stand in den DFB-Unterlagen: »gestorben 6.5.1941 (Auschwitz)«. Danach habe ich die offizielle Geschichte des DFB eingesehen und da stand gar 1939/1945 gestorben im Ghetto. Beides falsch.
Julius Hirsch ist Anfang März 1943 über Dortmund nach Auschwitz gebracht worden und dort vermutlich am 2. März 1943 nach der Ankunft sofort umgebracht worden. Irgendwann später habe ich seinen Sohn Heinold Hirsch in Karlsruhe getroffen. Wir haben über alles geredet und sind auch zusammen auf den jüdischen Friedhof gegangen. Heinold Hirsch wollte, dass für seinen Vater, aufgrund seiner zahlreichen Verdienste um den deutschen Fußball, eine Gedenktafel angebracht wird. Dazu sollte es erst im Jahr 2005 auf Initiative des damaligen DFB-Präsidenten Dr. Theo Zwanziger mit dem »Julius-Hirsch-Preis« kommen.
1998 sollte beispielsweise ein Stadion in Pfinztal bei Karlsruhe Julius Hirschs Namen erhalten. Ein Gemeindevertreter lehnte dies mit den Worten »einmal muss auch mal Schluss sein« ab. Am Ende wurde immerhin noch eine Sporthalle nach Julius Hirsch benannt.

»Ein skandalöser Vorgang«

Kabine: Wann haben Sie mit den tiefergehenden Recherchen für dieses Buch angefangen?

Werner Skrentny

Buchautor Werner Skrentny: seit Anfang der 90er am Thema dran …

WS: Wie gesagt, ich war schon seit Anfang der 90er an diesem Thema dran. Richtig tief rein ging es dann 2010. Zwei Jahre später konnte die Hirsch-Biografie dann erscheinen. So war ich zum Beispiel auch in der Nervenheilanstalt im badischen Achern, in der Julius Hirsch geboren wurde. Ich habe auch in Frankreich recherchiert, wo Julius Hirsch in den 30er Jahren als Trainer gearbeitet hat. Darüber hinaus habe ich in vielen Archiven »gegraben«. Die Ausgaben der Zeitungen und Zeitschriften musste man mit Samthandschuhen anfassen, da an vielen schon der Zahn der Zeit genagt hatte und sie teilweise schon kurz vor dem Zerfallen waren. Wenn diese Archivschätze nicht schnellstens digitalisiert werden, dann wird in naher Zukunft eine große Quelle, aus der Informationen der Zeit zu uns fließen, versickern. Das wäre fatal.
Im Zusammenhang mit diesen Recherchen habe ich auch die Töchter von Gottfried Fuchs kennengelernt und sie in Montreal besucht. Bernd Beyer, mein Lektor beim Verlag Die Werkstatt, hat mir die Tür zu einem kleinen Schatz geöffnet. In den DFB-Archiven liegt ein Briefwechsel zwischen Alt-Bundestraiiner Sepp Herberger und Gottfried Fuchs. Herberger wollte Fuchs 1972 zur Eröffnung des Münchener Olympiastadions nach Deutschland einladen. Dieses Ansinnen wurde von den DFB-Funktionären als zu teuer abgelehnt. Ein skandalöser Vorgang. Glücklicherweise musste Gottfried Fuchs, der sich in Kanada Godfrey Fochs nannte, dieses Trauerspiel nicht mehr erleben. Er ist am 25. Februar 1972 in Montreal verstorben.

Keine Unterlagen in der Schweiz

Kabine: Bekamen Sie bei Ihren Recherchen auch von irgendwoher »Gegenwind« oder wurden Sie generell gut unterstützt?

WS: Nein, Probleme oder Behinderungen gab es nicht. Eher im Gegenteil. Meine Arbeit wurde von allen Seiten begrüßt und von der DFB-Kulturstiftung wie auch der Familie Hirsch unterstützt. Eine Einschränkung muss ich allerdings machen. Hirschs Mitspieler Gottfried Fuchs, bis heute Rekord-Torschütze der Nationalelf, ist ja später bekanntlich über die Schweiz nach Frankreich emigriert. Meine Nachfrage zum Thema »Asyl« bei den eidgenössischen Behörden ergab lediglich ein lapidares »es liegen darüber keine Unterlagen vor«. Und das bei den Schweizern, denen man eigentlich ein sehr ordentliches und genaues Wesen nachsagt.

Kabine: Zunächst liest sich Ihr Buch wie eine lockere und flotte Erfolgsgeschichte. Als der Abstieg von Julius Hirsch beginnt, wird es recht schnell »eklig«. Da tun Menschen ihren Mitmenschen unglaubliche Dinge an. Stellvertretend sei an die Stelle im Buch erinnert, in der Sie über den Mitbewohner von Hirsch berichten, der ihn, im Bewusstsein des Herrenmenschen schikaniert und quält. Als Leser wird einem bei derlei Grausamkeiten einfach nur speiübel. Sie als Autor waren noch näher dran, mussten sich tiefer einarbeiten. Wie gehen Sie mit solchen Dingen um?

WS: Wenn man sich mit dieser Zeit beschäftigt, dann ist das ein immer wiederkehrendes Thema. Ob das nun in Karlsruhe ist oder bei den Juden des HSV oder sonstwo. Bis 1933 war alles ok. Danach kam dann das große Elend.

Inzwischen hat sich einiges getan

Kabine: Sehen Sie die Gefahr, dass so etwas in der heutigen Zeit noch einmal passieren könnte?

WS: Das ist schwer zu sagen. Alltäglichen Rassismus gibt es immer wieder. Es ist wichtig, sich mit diesen Dingen regelmäßig auseinanderzusetzen und sie aufzuarbeiten. Dies gilt auch für die Fußballvereine. Zugegeben, für einen Amateurverein ist so etwas alles andere als einfach.

Kabine: Welches Echo haben Sie auf dieses Buch erhalten?

Gottfried Fuchs, Karlsruher FV

Gottfried Fuchs, kongenialer Sturmpartner von Julius Hirsch

WS: Eigentlich war das Echo durchweg positiv. Es gab viele Rezensionen, sowohl in Print, Radio und TV. Inzwischen liegt das Buch ja in der 2. Auflage vor. Im Nachgang habe ich viele Einladungen zu Vorträgen erhalten. Das betraf Veranstaltungen von Städten, Schulen, Ultragruppen oder Fan-Projekte. Dieses Interesse hat mich sehr gefreut.
In den letzten Jahren hat sich bei diesem Thema ja einiges getan. 2018 ist der Gottfried-Fuchs-Preis dazugekommen, der alle drei Jahre verliehen wird. Und inzwischen sind Julius Hirsch und Gottfried Fuchs auch von der Stadt Karlsruhe für ihre Verdienste geehrt worden. In der Nähe des ehemaligen KFV-Stadions an der Telegrafenkaserne gibt es jetzt eine Julius-Hirsch-Straße und einen Gottfried-Fuchs-Platz.

Kabine: Zuletzt noch ein kurzer Schwenk zum Karlsruher FV, dem Verein der beiden Nationalspieler. Ehemals Verein mit Vorbildfunktion, inzwischen gnadenlos abgestürzt …

WS: Ja, das ist leider so. Der Karlsruher FV hat seine angestammte Heimat verloren. Es bleibt zu hoffen, dass dieser einstmals so stolze Verein in absehbarer Zeit wieder auf einen guten Weg findet. Ich habe großen Respekt vor dem, was seit dem Wiederaufbau des Klubs geleistet worden ist, und kann die vorzügliche Website des KFV nur empfehlen.

 

 

 

 

Foto Credits: Die Fotos von Julius Hirsch und Gottfried Fuchs wurden uns dankenswerterweise vom Karlsruher FV zur Verfügung gestellt.
Das Foto von Werner Skrentny ist eine Leihgabe von Herrn Skrentny. Alle andern Fotos: Copyright edition Alaska