Eigentlich war es schon lange an der Zeit, Anton Turek, dem Torhüter des »Wunders von Bern«, ein gebührendes Denkmal zu setzen. Nachdem er in der Anfangsphase des Endspiels durch seine Nachlässigkeit ein Gegentor mitverschuldet hatte, wuchs Toni Turek im weiteren Spielverlauf förmlich über sich hinaus. Die ungarischen Wunderstürmer scheiterten immer wieder am deutschen Torhüter. Eine wahrhaft reife Leistung! Reporter Herbert Zimmermann adelte Turek in seinem Kommentar als »Fußballgott«. Zur damaligen Zeit lief das allerdings nicht so einfach durch. Andere Zeiten, andere Moralvorstellungen.
Der Historiker Dr. Werner Raupp nahm vor längerer Zeit die Dinge in die Hand, Toni Turek die gebührende Anerkennung zukommen zu lassen. Zu seinem hundertsten Geburtstag wurde der Torsteher endlich entsprechend gewürdigt: Biographie in Buchform, Website und das Toni-Turek-Archiv (zu erreichen über die Website). Toni, was willst Du mehr …
Kabine: Wie ist die Idee zu diesem Buch entstanden? Gab es da eine persönliche Vorgeschichte oder waren Sie früher vielleicht gar selbst Torhüter?
Dr. Raupp: Nein, nein, Torhüter war ich nicht, ich war »nur« Feldspieler! Bei dem Projekt haben sich sozusagen zwei Stränge miteinander verwoben: mein seit Jugendtagen währendes Interesse an der großen Welt des Sports und meine beruflichen Ambitionen als Historiker. Ein Artikel über Turek für die Neue Deutsche Biographie machte den Anfang. Und dann knüpfte ich Kontakte ins Rheinland, besonders zum Duisburger Vermessungstechniker Erich Fuchs (1937–2009), der als Initiator der Turek-Forschung angesehen werden darf.
WM-Held und dennoch dünne Quellenlage
Kabine: Sie beklagen im Buch eine dünne Quellenlage zum Thema »Toni Turek«. Woran lag das? Gab es keine Unterlagen oder sind diese vielleicht zerstört worden oder verloren gegangen?
Dr. Raupp: Ja, die Quellenlage könnte besser sein, vor allem hinsichtlich der frühen Jahre. Manches ist in der Tat verschollen, etwa seine Schulzeugnisse. Schließlich blieben mir aus datenschutzrechtlichen Gründen die Akten von Tureks Arbeitgeber, der Rheinbahn in Düsseldorf, verwehrt. Bedauerlicherweise liegt auch kein Nachlass vor, und seine beiden Kinder haben nur wenig Interesse an der gründlichen Aufarbeitung der Lebensgeschichte ihres Vaters. Dennoch konnte ich dank mancher Archivfunde und Interviews etliches erhellen. Als wichtiges Dokument erwies sich namentlich das Wehrmachtschriftgut der Deutschen Dienststelle, Berlin, das uns Aufschluss über Tureks Soldatenleben gibt.
Kabine: Wie lange haben Sie – alles in allem – an diesem Buch gearbeitet?
Dr. Raupp: Aufgrund der schwierigen Quellenrecherche sehr lange! Mit »Turek« beschäftige ich mich seit etwa 2008. Zunächst war es ein Projekt neben anderen, aber seit Sommer 2017 arbeitete ich sehr intensiv an der Monographie – schließlich sollte sie ja zu Tureks 100. Geburtstag am 18. Januar 2019 fertig werden! Dabei unterstützten mich mehrere »Fußballfreunde«. Nennen möchte ich besonders Herrn Norbert Nußbaum aus Düsseldorf, den »Sherlock Holmes der Rheinischen Fußballgeschichte«, und den Deutschen Sportclub für Fußballstatistik.
Schon Turek kritisierte die ausufernde Kommerzialisierung
Kabine: Wenn wir den ersten Teil des Buches lesen, dann merken wir relativ schnell, wie gut es uns eigentlich heutzutage geht. Sollten wir am Ende nicht alle ein wenig demütig sein, die Euro-Zeichen aus unseren Augen streichen und einfach genießen, dass wir nicht in Elends- oder Kriegszuständen leben müssen? Das ist doch eigentlich schon viel wert.
Dr. Raupp: Ja, freilich! Es ist doch, wie wir ja alle wissen, so: Man kann die guten Zeiten nur wertschätzen, wenn man auch die schlechten kennengelernt hat. Und letztere hat eben auch Turek zur Genüge durchlebt. Aus der Kriegsgeneration stammend und von der Not jener Jahre geprägt, wurde er ein »dankbarer« Charakter. – Apropos «Euro-Zeichen in den Augen«: Betrachtet man die heutige Fußballlandschaft, so kann man angesichts der mehr und mehr ausufernden Kommerzialisierung nur verwundert den Kopf schütteln! Dekadent … Schon Turek hatte diese Entwicklung kritisiert.
Toni-Turek-Archiv Hohenstein/Schwäbische Alb
Kabine: Sie unterhalten auch ein Toni-Turek-Archiv. Was müssen wir uns darunter vorstellen?
Dr. Raupp: Eine Legion von Aktenordern sowie zahllose Dateien auf der Festplatte und etliche DVDs (Spielberichte, Interview, Bilder etc.). Einige der Archivunterlagen finden sich nunmehr auch auf meiner Turek-Website (www.toni-turek.info), die Ende Juli an den Start ging. Erfreulicherweise bekomme ich ab und an Materialien zugesandt.
Kabine: Wie ist das Buch bei der Leserschaft angekommen?
Dr. Raupp: Recht gut. Bereits wenige Wochen nach seinem Erscheinen Mitte Januar konnte der Arete Verlag einen zweiten Nachdruck in Auftrag geben.
Toni Turek – einer der »Großen« des »Wunders von Bern«
Kabine: Im Prinzip reden die meisten Leute im Zusammenhang mit dem WM-Titel von 1954 über Fritz Walter, Sepp Herberger und Helmut Rahn. Eigentlich war es doch längst überfällig, dem Torwart von Fortuna Düsseldorf, der an diesem 4. Juli 1954 mit seinen Paraden den deutschen Sieg festgehalten hat, ein Denkmal zu setzen?
Dr. Raupp: Ja, da gebe ich Ihnen vollkommen recht! Zweifelsohne gehört Turek mit zu den »Großen« des »Wunders von Bern«. Mit seinen Vereinen in der Gauliga Niederrhein wie auch in der Oberliga Süd und West konnte er keine glanzvollen Erfolge feiern (immerhin gewann er mit der TSG Ulm 1846 1949 den Pokal des Württembergischen Fußballverbands) – bei der WM 1954 war er dann zur rechten Zeit am rechten Ort. Die Sternstunde vom 4. Juli machte ihn »unsterblich«!
Seine Popularität verdankt er aber auch seiner sympathischen, bodenständigen Persönlichkeit. Der bescheidene »Fußballgott«, der ja bekanntlich vom Glück nicht verfolgt war, war ein Mann zum Anfassen. Ein Jeder konnte sich mit ihm identifizieren, besonders der »kleine Mann« der Nachkriegsjahre. Damit will ich freilich keine Lobhudelei anstimmen – aber ich finde: Ehre, wem Ehre gebührt.
Theodor Heuss: Toni Turek, ein netter Kerl
Kabine: Toni Turek, Fußballgott – Radio-Reporter Herbert Zimmermann wurde für diesen Ausdruck ganz offensichtlich gerüffelt. Die 50er Jahre waren noch echt »prüde« Zeiten. Herbert Zimmermann hat das Spiel sehr emotional kommentiert. Der »Fußballgott« hat in diesem Zusammenhang einfach in den Rahmen gepasst. Der eine oder andere Moral- und Sittenwächter sah die Dinge wohl anders. Frage an Sie als Historiker: Waren die Reaktionen auf Herbert Zimmermanns Kommentar nicht einfach nur deutlich überzogen?
Dr. Raupp: Gewiss: ein solches Attribut wirbelte in jenen Jahren einigen Staub auf. »Gott« war im Kontext des christlichen Glaubens noch fest im Bewusstsein des Menschen verankert. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass manch Kleriker sich darüber echauffierte. Der berühmteste Kritiker war übrigens der Bundespräsident Theodor Heuss, der Turek aber auch als »zuverlässigen Torwart« und als »netten Kerl« lobte. Heutzutage können wir über diese Aufregung nur schmunzeln. Seit langem, ja vor allem seit Zimmermanns Reportage, die dem Mythos von Bern gleichsam seine Stimme verlieh, gehören religiöse Bilder zur Fußballwelt. Auch darin spiegelt sich ein wenig die zunehmende Profanierung unserer Gesellschaft wider.
An dieser Stelle möchten wir uns bei Dr. Werner Raupp für seine Unterstützung bei dieser Geschichte über Toni Turek bedanken.
Foto Credits: Die Fotos wurden uns dankenswerterweise vom Toni-Turek-Archiv zur Verfügung gestellt
»Gelassenheit«: Toni-Turek-Archiv, Hohenstein/Schwäbische Alb
TSG Ulm 1846: Archiv SSV Ulm 46
Zoltan Czibor / Toni Turek: Rheinbahn Archiv, Düsseldorf
»Teufelskerl Toni Turek«: Toni-Turek-Archiv, Hohenstein/Schwäbische Alb